Bei der Durchsicht weiterer Kartenwerke über den Hickengrund
(hier das sog. Urkataster von 1836/37), fanden sich, entlang der Gemarkungsgrenzen,
eine Vielzahl von Flurbezeichnungen, die den Begriff Hecke enthalten. So
z. B. die Forsthecke und die Innebornshecke in Niederdresselndorf, die
Dangelshecke, hinter der Hegg, in der Löhlenhecke, Brenders Heckelchen,
hinter der Kirchenbaums Hecke, oberm Heckelchen in Oberdresselndorf und
die Kalteborns Hecke in Lützeln.
Interessant sind auch Namen wie „im Langenbaum“ (so wurden häufig die mit
Schlagbaum gesicherten Durchgänge bezeichnet, wie aus angrenzenden
Regionen bekannt ist), vor dem Thorweg, beim Haigerschen Thor, vor der
Mauer, beim Zollstock.
Besondere Beachtung verdient jedoch der „Wartheköppel“ rechts
der Straße von Oberdresselndorf nach Liebenscheid. Solche „Warthen“ waren
meist steinerne Turmbauten, die an Punkten von besonderer strategischer
Bedeutung oder an Stellen, die besondere Übersicht über
das umliegende Land boten, errichtet wurden und in unsicheren Zeiten
von Wachposten besetzt werden konnten.
Sie wurden im 14. und 15. Jahrhundert errichtet und behielten zum
Teil Ihre Bedeutung bis in die Zeit des 30jährigen Krieges.
Steinbauten stellten in Zeiten, wo bis auf Kirchen und Burgen die
meisten Häuser aus Holz oder
Fachwerk erstellt wurden, eine nicht zu unterschätzende bauliche
Anstrengung dar.
Siebel, der die Geschichte der Nassau - Siegener Landhecke
beschreibt -diese schloß den Freien und den Hickengrund nicht ein-
vermutet, daß die Siegener Landhecke, die fast das gesamte heutige
Siegerland umschloß, durch zwei Warthen zusätzlich gesichert
wurde. Sollte also oberhalb von Oberdresselndorf eine solche steinerne
Warthe gestanden
haben, stellt
sich die Frage nach der Bedeutung dieser ansonsten relativ
kleinen Verteidigungsanlage.
Doch bleiben wir zunächst bei dem, was andere bereits über die Hecken
des Hickengrundes geschrieben haben. In der 1948 anläßlich des 900.
Jahrestages der Haigerer Kirchenweihe erschienenen Festschrift schreibt der Heimatforscher
Karl Löber aus Langenaubach:
"
Die Landhegenforschung (Hauptlehrer Gail und der Verfasser) konnte
nämlich die frühere Einfriedung des Hickengrundes durch je eine
große in Wall und Graben liegende Landhege auf beiden Talseiten nachweisen.
Danach war der Hickengrund durch eine gebückartige, als Grenzbefestigung
dienende Hecke, ein Verhau schlechthin gesichert. Solche Landhegen finden sich
vielfach in unserer Heimat an den Grenzen alter Ämter, landesherrlicher
Gebiete und Stammesräume. Warum dem kleinen, nur 4 Dörfer umfassenden
Gebiet ein solcher Grenzschutz gegeben wurde, erscheint vorläufig
noch nicht klar."
Auch K.-W.- Dahm berichtet in der Festschrift zur Einweihung
der Hickengrundhalle 1956 von dieser Landhege „Reste dieser Hege lassen sich noch an vielen Stellen
deutlich erkennen“. An welcher Stelle K. Löber den Aufbau aus Wall und Graben
erkunden oder wo K.-W.- Dahm die Reste noch deutlich erkennen konnte, erfahren
wir leider nicht. Tatsache ist, daß durch
die veränderten Bewirtschaftungsmethoden der Forst- und Haubergsflächen
mit schwerem Gerät, Reste solcher Anlage in Kürze völlig
verschwunden sein werden.
In benachbarten Gebieten ist die Lage teilweise etwas besser.
Stellenweise beschäftigen sich engagierte Heimatforscher dort bereits seit über
100 Jahren mit der Auffindung, Erfassung und Erforschung solcher Verteidigungsanlagen.
Dies ist häufig darin begründet, daß es sich dort um größere
und aufwendigere Anlagen handelt, die auch heute oft über mehrere Kilometer
deutlich sichtbar im Gelände zu verfolgen sind.
So zum Beispiel die bereits erwähnte Landhecke, die das ehemalige Nassau
- Siegen fast vollständig umgab. Mit ihren über 100 km
Länge bildet sie eine beeindruckende Leistung der spätmittelalterlichen
Bevölkerung. Je nach Geländeverlauf und Bedeutung der angrenzenden
oder durchführenden Handels- und Verkehrswege zeigt sie verschiedene Ausbildungen
mit Wällen und Gräben. An wichtigen Straßen finden sich bis zu
3 hintereinander liegende Wall-/ Grabenanlagen, die
noch zusätzlich durch bastionsartige Ausbuchtungen, Lagerplätze
und an wenigen Stellen auch durch steinerne Warthen oder Kanonen gesichert
sein konnten.
In sicherem Gelände, das durch sumpfige Täler oder tiefe vorgelagerte
Wälder, einen ausreichenden natürlichen Schutz hatte, wurde oft auf
Wall und Graben verzichtet und man beschränkte sich auf die Anlage einer
reinen Wehrhecke. In der bereits erwähnten Abhandlung von G. Siebel findet
sich auch eine ausführliche Beschreibung einer
solchen Wehrhecke. Man muß sich hier einen Niederwaldstreifen vorstellen,
der zwischen 15 und 300 m tief sein konnte. Die Bäume auf diesem Waldstreifen
mußten durch die Bewohner der anliegenden Dörfer in Abständen
von 4 - 5 Jahren auf Mannshöhe gestutzt werden, wobei die tiefer liegenden Äste
zu einem engen Gespinst, dem sogenannten „Gebück“ verflochten wurden. Dazwischen
wurden Himbeer- und sonstige Dornenbüsche gepflanzt. Solche Wehrhecken bildeten
zwar keinen undurchdringlichen Schutzwall, waren
aber durchaus geeignet spontane Übergriffe marodierender Gruppen abzuhalten.
Siebel vermutet, daß in Nassau - Siegen im 13. oder 14. Jahrhundert mit
dem Bau entsprechender Anlagen vor allem an Zollstellen und Schlagbäumen
begonnen wurde. Die Zusammenfassung in einer geschlossenen Anlage erfogte wahrscheinlich
1444 – 1449 im Zuge der Soester Fehde. Zur größten Bedeutung und gleichzeitig
weitesten Ausbau gelangte die gesamte Anlage am Ende des 16. Jahrhunderts im
Zusammenhang mit der oranischen Heeresreform.
Einige Angehörigen des nassauischen Fürstenhauses hatten lange Zeit
in den Niederlanden zugebracht und waren mit der fortschrittlichen
niederländischen Wehrtechnik auf das Beste vertraut. Die niederländische
Wehrtechnik war zu dieser Zeit die am weitesten entwickelte in Europa. Ähnliche
Anlagen schützten damals auch Nassau Dillenburg und weite Teile
des bergischen Landes.
Im Hickengrund düfte der Verlauf einer solchen Wehrhecke vor allem den Gemarkungsgrenzen
auf den Bergrücken der umliegenden Berge gefolgt sein, wobei die Hecken
vollständig auf Hickengründer Seite lagen und nicht etwa von andern
Dörfern in entgegengesetzter Richtung genutzt
werden konnte. Die Katasterpläne von 1772/73 bestätigen eine solche
Aussage für die Gemarkung Holzhausen.
Im Zusammenhang mit der Frage der Entstehung der Wehrhecke
ist noch auf den Tiergarten der Grafen von Oranien
hinzuweisen. Bei
diesem
Tiergarten handelt
es sich um
ein umfriedetes Jagdrevier. Wir lesen erstmals in einer
Regeste der Adeligen
von Haiger aus dem Jahr 1349 von diesem Tiergarten.
Wo er genau gelegen hat und welche Gebiete er umschloß, läßt sich schwer sagen. Erich Georg
schrieb 1987 im Heimatspiegel, daß er ausschließlich auf Allendorfer
Gebiet an der Holzhäuser Gemarkungsgrenze gelegen hat. Hier findet sich
auch heute noch die Flurbezeichnung „Im Rehgarten“. Ebenso sicher schreibt aber
K.W. Dahm in der Festschrift zur Einweihung
der Hickengrundhalle, daß er große Teile des Hickengrundes
umfaßte und bis nach Oberdresselndorf reichte. „Gegenüber der alten
Mühle liegt der ehemalige fürstliche Pferdestall und nahebei sind auch
die Jagdunterkünfte, die später dann zur Keimzelle Oberdresselndorfs
wurden.“ Sollte er tatsächlich bereits um 1350 solche
Ausmaße gehabt haben, könnten in einer etwa gleichzeitig begonnenen
Wehrheckenanlage Teile dieser Umfassung integriert worden sein. Solange aber
keine eindeutigen Quellen vorliegen, die Auskunft darüber geben, wo sich
dieser Tiergarten genau befand und welche Gebiete er umschloß,
begibt man sich hier auf das Feld der Spekulation.
Zum Abschluß möchte ich noch einen kurzen Artikel anfügen, der
sich jetzt im Internet auf der Hickengrund-Homepage von Detlef Kretzer findet.
Leider ist mir seine Quellle nicht bekannt, aber möglicherweise
wird hier das Ende der mittelalterlichen Wehrhecken im Hickengrund beschrieben.
"Die Leute im Hickengrund, in den vier Ortschaften Ober- und Niederdresselndorf,
Holzhausen und Lützeln, die sind von einem fremden Volksstamm und in der
Vorzeit hier eingewandert. Sie bauten sich im Tale des Weiherbaches (dem von
Liebenscheide herkommenden Quellarm des Haigerbachs) an und zogen um ihren Gau
eine Hecke, so hoch und dicht, daß weder Raubtier noch Feind zu ihnen kam.
Das Ländchen blieb für sich und hieß der Heggers- oder Hegengau,
später Hickengrund. Die Leute waren an Gestalt, Mundart und Sitte anders
als die Nachbarn. Ihre Art hat sich auch lange rein erhalten, sie heirateten
nicht mit Leuten anderer Landstriche.
Es war ein schöner, gerader Menschenschlag. Dabei sehr wanderlustig, die
Männer in früheren Zeiten meist Fuhr- und Handelsleute, mancher hatte
acht und mehr Pferde, sie kamen weit herum, bis nach Sachsen, Brabant und ins
Braunschweigische. In der Franzosenzeit ist einmal ein feindlicher
General vorübergezogen, der hat die Dörfer erst entdeckt, als er schon
daran vorbei war und sich so darüber geärgert, daß er die Hecken
abhauen ließ. Seitdem blieb der Hickengrund offen." [3]
Wieviel Wahres in diesem Artikel enthalten ist und
wieviel davon ins Reich der Legende gehört,
ist nicht genau auszumachen, sollte aber mit Franzosenzeit
die Zeit um 1760 gemeint sein, als das Dillenburger
Schloß von den Franzosen
zerstört wurde, so wäre es gut möglich,
daß 1772/73 bei der Aufstellung des erwähnten
Katasters die Bezeichnungen der einzelnen Heckenabschnitte
noch als Flurbezeichnungen
Verwendung fanden,
obwohl die eigentliche Anlage bereits nicht mehr
vorhanden war.
Wie dem auch sei, fest steht, daß der Bau und auch der Unterhalt
einer solchen Wehrheckenanlage für die mittelalterliche Bevölkerung
einen immensen Aufwand bedeutete. Es waren umfangreiche Erdbewegungen
notwendig, aber
vor allem die Anpflanzung und regelmäßige
Pflege der eigentlichen Hecke erforderte einen
hohen Personaleinsatz. Was war damals den Menschen
so
wichtig, dieses relativ kleine Gebiet mit einer
eigenen Wehrhecke zu umschließen und möglicherweise
mit einer steinernen Warte zu sichern? Wie war
der genaue Verlauf im Gelände? Wie sah der
genaue Aufbau der Anlage aus, mit Wall und Graben,
oder nur mit einer Hecke? Wann war die Entstehungszeit,
wie die zeitliche Entwicklung und wie das Ende
der Anlage? Alle diese Fragen
sollten bald geklärt werden. Schon heute
sind im Gelände Reste der Anlage nicht mehr
ohne Weiteres zu finden und falls überhaupt
noch Reste existieren, dürfte es relativ aufwendig
sein, diese schlüssig zu identifizieren und
von anderen Erdbewegungen der letzten 100 Jahre
zu unterscheiden. Um so wichtiger ist
es, die noch verfügbaren Informationen und
Hinweise jetzt zusammenzutragen, um sich ein Bild
von der Art und Größe der Anlage zu
machen.